Literaturnobelpreis 1938: Pearl Sydenstricker Buck

Literaturnobelpreis 1938: Pearl Sydenstricker Buck
Literaturnobelpreis 1938: Pearl Sydenstricker Buck
 
Die US-amerikanische Schriftstellerin wurde für ihre »wertvollen und wahrhaft epischen Schilderungen des bäuerlichen Lebens« in China und für ihre »meisterhaften Biografien« ausgezeichnet.
 
 
Pearl Sydenstricker Buck, * Hillsboro (West Virginia) 26. 6. 1892, ✝ Danby (Vermont) 6. 3. 1973; wächst als Missionarstochter ab 1892 in China auf, 1910-14 College-Ausbildung in den USA, 1918 Ehe mit John Lossing Buck, 1922-32 Professorin für englische Literatur an der Universität von Nanking, 1930 erste Romanveröffentlichung, 1934 Übersiedlung in die USA, 1935 Ehe mit dem Verleger Richard C. Walsh.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Nichts liebt der arme chinesische Bauer Wang Lung, die Hauptfigur in Pearl S. Bucks berühmtestem Roman »Die gute Erde«, mehr als sein Land: »Schwer und dunkel lag die Erde vor ihnen, und ihre Krumen fielen leicht von ihren Schaufeln. Hin und wieder kam ein Stückchen Holz ans Licht und auch wohl ein Ziegelrest. Das bedeutete nicht viel. Irgendwann vor langer Zeit waren hier Männer und Frauen begraben worden, hatten hier ihre Häuser gestanden, waren zerfallen und wieder zu Erde geworden. So würde eines Tages auch ihr Haus zerfallen, und auch sie würden sterben und wieder zu Erde werden.«
 
Wie seine Vorfahren seit Jahrhunderten zieht auch er seine Daseinsberechtigung aus seiner tiefen Verbundenheit mit der Erde, die ihm und seiner Familie Nahrung gibt. Wang Lung ist aus demselben Stoff wie der gelbbraune Ackerboden auf seinen Feldern, beide gehören zusammen und werden nach seinem Tod wieder eins werden. Doch schon die nachfolgende Generation wird diese Werte grundlegend infrage stellen.
 
 China zwischen Tradition und Moderne
 
»Die gute Erde« ist der erste Teil der Romantrilogie »Das Haus der Erde«, einer die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts umspannenden Familiensaga, die das Schicksal Wang Lungs (»Die gute Erde« 1931), seiner drei Söhne (»Söhne« 1932) und eines seiner Enkel (»Das geteilte Haus« 1935) erzählt. Pearl S. Buck schildert in diesen Werken, wie sich die in Traditionen verhaftete Welt der chinesischen Bauern durch Revolution und westliche Einflüsse ällmählich verändert. Mit seiner Frau O-lan, die still und geduldig das harte Dasein einer chinesischen Bäuerin auf sich nimmt, bringt es Wang Lung nach Jahren schwerster Entbehrungen zu Wohlstand und Ansehen.
 
Doch der ungewohnte Reichtum hält Verlockungen bereit und diese verändern Wang Lung. Er ist nicht mehr der genügsame, einfache Bauer, sondern der Herr, der sich eine schöne, junge Konkubine ins Haus holt, weil ihm seine Frau nicht mehr genügt. Am Ende seines Lebens muss er feststellen, dass seinen drei Söhnen der Sinn für die traditionelle Lebensweise und die bäuerliche Erdverbundenheit fehlt.
 
Im zweiten Roman erzählt Pearl S. Buck dann die Lebensgeschichte der drei Söhne Wang Lungs. Der älteste frönt als Grundherr dem Müßiggang, der zweite ist ein abgefeimter Geschäftemacher, der jüngste ein grausamer Kriegsherr mit einer Privatarmee. Dessen Sohn steht im Mittelpunkt des dritten Romans. Er wächst in einer städtischen, westlich geprägten Umgebung auf, studiert in den USA, besinnt sich allerdings nach seiner Rückkehr ins revolutionäre China auf die alten Werte. Durchdrungen von einer Fortschrittsidee, die die überkommenen Normen respektiert, kehrt er zur Lebensweise seiner Vorfahren zurück.
 
 Eine einfühlsame Biografin
 
Der Konflikt zwischen Tradition und Moderne in China zieht sich wie ein roter Faden durch das schriftstellerische Werk von Pearl S. Buck und wird bereits in ihrem Erstlingswerk »Ostwind — Westwind« (1930) thematisiert. Darin wird die streng nach den überkommenen Traditionen erzogene Kwei-lan durch ihren in Amerika ausgebildeten Mann mit dem westlichen Wertesystem konfrontiert und wandelt sich von der sklavisch untergeordneten chinesischen Ehefrau zu einer gleichberechtigten Partnerin. Überhaupt hinterlassen die Frauen in Pearl S. Bucks Romanen einen starken Eindruck. Ob es nun O-lan, Kwei-lan oder die Titelhelden des Romans »Die Mutter« (1934) ist — eine mutige Person, die sich für ihre Kinder und Enkel aufopferungsvoll einsetzt —, in ihren weiblichen Charakteren manifestiert sich das Mitgefühl der Autorin für die Situation der chinesischen Frau: rechtlos, unterdrückt und wertlos, hart arbeitend und allzu oft zur reinen Gebärmaschine herabgewürdigt.
 
Mit derselben weiblichen Einfühlsamkeit berichtet Pearl Sydestricker Buck auch über das Leben ihrer Eltern. Die schriftstellerische Leistung, die in der Biografie ihrer Mutter Carie (»Die Frau des Missionars«) und ihres Vaters Andrew Sydenstricker (»Der Engel mit dem Schwert«, beide 1936) zum Ausdruck kommt, wurde vom Nobelpreiskomitee ausdrücklich in ihrer Begründung für die Vergabe des Preises an Buck erwähnt.
 
 Mittlerin zwischen Ost und West
 
Die Frau, die in ihren China-Romanen ein solch eindringliches Bild des Alltagslebens im Reich der Mitte zu Beginn des 20. Jahrhunderts liefert, kann das aus eigener Anschauung, denn die ersten 40 Jahre ihres Lebens verbringt sie fast ausschließlich dort.
 
Die kleine Pearl kommt bereits im Alter von wenigen Monaten mit ihren Eltern nach China und wächst dort in einer friedvollen Umwelt auf. Die erste Sprache, die sie lernt, ist Chinesisch, dann folgt Englisch; die westliche Kultur kennt sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern und der Lektüre der Romane von Mark Twain und Charles Dickens. Erst durch den Besuch einer Missionsschule und durch die Collegeausbildung in Virginia kommt sie mit westlichen Werten in Berührung, wird zur Wanderin zwischen zwei Welten: »Ich wurde dadurch geistig gespalten und lernte schon früh verstehen, dass es in menschlichen Dingen so etwas wie absolute Wahrheit nicht gibt.« 1922 beginnt sie zu schreiben. Sie will ihrem amerikanischen Publikum China näher bringen und ist bereits mit ihrem zweiten Werk »Die gute Erde« unerwartet erfolgreich — fast zwei Jahre lang steht das Buch auf der amerikanischen Bestseller Liste. 1932 erhält sie den Pulitzerpreis für diesen Roman. Die schriftstellerische Leistung Pearl S. Bucks — so urteilt später das Nobelpreiskomitee — besteht zum großen Teil darin, dass sie den Lesern einen Einblick in »die Seele Chinas« gewährt hat.
 
Doch bereits seit dem Ende der 1920er-Jahre wird das einstige große Kaiserreich in immer stärkerem Maß von revolutionären Aufständen erschüttert. Die gewaltsamen Unruhen wenden sich immer stärker auch gegen Weiße und bringen Pearl S. Buck mehrfach in gefährliche Situationen, in denen sie um ihr Leben fürchten muss. 1934 entschließt sie sich dann, in die USA überzusiedeln.
 
Doch auch nachdem sie China endgültig verlassen und sich anderen literarischen Themen zugewendet hat, widmet sie sich immer noch in zahlreichen Werken ihrer alten Heimat (»Land der Hoffnung, Land der Trauer«, 1939; »die Frauen des Hauses Wu«, 1946). Und 1972, fast 4o Jahre, nachdem sie aus China weggegangen ist, schreibt sie in »China, gestern und heute«: »»Werden Sie wieder nach China gehen?«, werde ich oft gefragt. Ich habe China nie verlassen, antworte ich. Ich gehöre zu China seit meiner Kindheit und werde dahin gehören, bis ich sterbe.«
 
S. Straub

Universal-Lexikon. 2012.

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